Alles um uns herum wird zunehmend „klimaneutral“.
Gerade im Supermarkt und Discounter springen uns förmlich mehr und mehr klimaneutrale bzw. CO2-neutrale Produkte an. Manches Mal ist es nur die Verpackung – aber egal, es wird alles so schön klimaneutral hier.
„Alles so schön bunt hier“ von Wise Guys
Einfach durch die Farben schweben. In diesem schön bizarren Land. Darf ich so was noch erleben. Ich bin so was von entspannt. Zeit und Raum sind ohne Maße. Ich nehm mich selber nicht mehr wahr. Zuckerwatte auf der Straße, Verschwommen scharf, benebelt klar.
Alles so schön bunt hier. Alles sonnenklar. Alles hier gefällt mir. Alles wunderbar.
Klimaneutral-Siegel – ein Déjà-vu des Bio-Siegels
Seit ca. 2010 schwappt eine Bio-Label-Flut über uns und führt zur Verwirrung der Verbraucher:innen. Jedoch gibt es in diesem Bereich geschützte und überprüfte Siegel, wie das Fairtrade oder das EU-Bio Siegel. Unternehmen müssen für die Verwendung des Siegels bestimmte Mindest-Standards erfüllen. Darüber hinaus existieren auch höherwertige Siegel wie demeter und andere. Viele Unternehmen schmücken sich neben einem offiziellen Siegel auch gerne noch mit selbst kreierten zusätzlichen Labels, die die biologische Ausrichtung marketingtechnisch verstärken sollen. Und natürlich gibt es auch immer noch schwarze Schafe, die nicht die Standards für das EU-Bio-Siegel erfüllen und ihre Produkte einfach mit einer Eigenschöpfung eines Bio-Siegels versehen.
Für die Verwendung eines Klimaneutral-Siegels gibt es bisher keine einheitlichen Standards.
Klimaneutral bedeutet auch nicht emissionsfrei, denn kaum ein Unternehmen kann klimaneutral produzieren, seine Produkte ohne einen Ausstoß von Treibhausgasen herstellen.
Wie kommen Unternehmen an ein Klimaneutral-Siegel?
Branchenunabhängig beginnt der Weg zur Klimaneutralität mit der Erstellung einer Klimabilanz, das heißt es wird ein CO2-Fußabdruck für ein Produkt ermittelt. Bereits hier existieren unterschiedlichste Verfahren und Qualitätsanforderungen. Beginnend mit ungenauen Online-Tools, die nicht vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsketten berücksichtigen – bis zu aufwändigen Berechnungen, die auch CSR-Reporting Initiativen wie dem GRI oder CDP stand halten.
Im Idealfall wird eine Klimastrategie erstellt, die nach der Berechnung des Carbon Footprint, ganz konkrete Emissionsreduktionsziele festlegt. Im dritten Schritt der Klimastrategie werden effektive und nachhaltige Methoden zur CO2-Vermeidung entwickelt und beschlossen. Ziel ist eine höhere Energie- und Ressourceneffizienz. Dies sollte im Rahmen eines individuell auf das Unternehmen zugeschnittenen Climate Action Plans und auf den Berechnungsergebnissen des Carbon Footprints basieren.
Im vierten Schritt kann eine Kompensation unvermeidbarer Restemissionen, z.B. durch Investitionen in Klimaschutzprojekte wie Waldschutz und Wiederaufforstung erfolgen. Für diese erworbenen Klimaschutz-Zertifikate erhalten die Unternehmen ein klimaneutral-Siegel.
Auf vielen Klimasiegeln findet sich eine ID- oder Tracking-Nummer. Interessierte Stakeholder können sich mit dieser Nummer auf der Website des Label-Ausstellers (Klimaschutz-Zertifikat Anbieters) darüber informieren, welches Klimaschutzprojekt konkret unterstützt wird und durch die Kompensation Geld erhält.
Verbraucherorganisationen kritisieren hier zurecht, einen Freikauf der Unternehmen, der auch oft als „Ablasshandel“ bezeichnet wird. Es findet keine Prüfung statt, ob die Unternehmen z.B. für ihre klimaneutrale Verpackung wirklich versuchen, die Herstellung von Verpackungen hinsichtlich Klimaschutz zu optimieren oder ob sie für das klimaneutral Siegel einfach etwas Geld in die Hand nehmen und Klimaschutz-Zertifikate erwerben.
Auch die Wahl der Klimaschutzprojekte wird oft kritisiert. Im Idealfall sollte in regionale Projekte investiert werden, da diese einfacher zu überprüfen sind. Wenn z.B. ein Skiort eine neue Skipiste mit aufwändigen Liften baut und hierfür Wald rodet, ist eine nachhaltige Ausrichtung doch eigentlich fragwürdig. Dennoch kann er durch entsprechende Klimaschutz-Zertifikate in Drittländern seinen neuen Lift als klimaneutral ausweisen.
Also wäre es nicht besser, wenn Unternehmen weniger ihre Produkte mit klimaneutralen Siegeln ausstatten und dafür transparent und überprüft CO2-Einsparungen dokumentieren? Dies wäre z.B. im Zuge ihres Nachhaltigkeitsberichtes oder durch CSR-Reportings wie EcoVadis, CDP oder GRI möglich. Im besten Falle zusätzlich noch durch eine kritische externe Prüfungen wie z.B. durch den TÜV validiert.
Doppelte Klimaneutralität hält besser?
Ähnlich wie bei den Bio-Siegeln erschaffen auch beim Thema Klimaschutz Unternehmen zusätzlich noch ihre eigenen Siegel. So z.B. auch der Discounter Aldi, der bereits mehrmals in der Kritik von Foodwatch und anderen stand.
Das Fachmagazin Horizont sowie die Lebensmittel Zeitung berichtete in einer seiner letzten Ausgaben über die ab Mai 2022 gestartete Aldi Kampagne, die von der renommierten Agentur Zum Goldenen Hirschen entwickelt wurde. Die Kampagne „Heute für Morgen“ umfasst TV-Spots, Online-Video-Formate, Printanzeigen und Aktivitäten in Social Media.
Die Botschaft der Kampagne ist, dass Discount und Nachhaltigkeit zusammenpassen. Die Inhalte der Kampagne sollen sich auf die vier Handlungsfelder Tierwohl, Klimaschutz, Bio-Produkte und Verpackungsreduktion sowie die von Aldi Süd und Nord erreichten Erfolge konzentrieren.
Das Visual der Kampagne ist eine stilisierte Weltkugel, die von farbigen Kreissegmenten umrahmt wird. Diese farbigen Flächen erinnern an das Klimaneutral-Siegel der DFGE. Die DFGE – Institute for Energy, Ecology and Economy GmbH ist seit mehr als 20 Jahren im Bereich CSR und Carbon Footprint Accounting tätig. Der Fokus des Unternehmens liegt auf validierten Berechnungen und Fakten statt Meinungen. Die Entwicklung von Klimastrategien gehört mit zum Lösungsportfolio, um Unternehmen auf ihrem Weg in eine nachhaltigere Zukunft zu unterstützen. Die DFGE betreut jedoch nicht Aldi – jedwede Ähnlichkeit des Aldi Kampagnen-Visuals mit dem DFGE Klimaneutral-Siegel, das für Klimaschutz Zertifikate des Gold Standards vergeben wird, ist Zufall.
Alles so schön klimaneutral hier …
Auch wenn gegenwärtig unzählige Siegel ohne einheitliche Standards in puncto Klimaneutralität existieren und unwillkürlich zu einer Verwirrung der Verbraucher:innen führen, so muss man die Bestrebungen der Unternehmen hin zu Klimaneutralität und Net-Zero generell begrüßen. Auch dass Discounter wie Aldi, Lidl und andere sich in vielen CSR-Aspekten engagieren, obwohl sie eine eindeutige Niedrigpreisstrategie verfolgen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Am Ende sind wir alle in der Pflicht
- Die Politik, die Regelwerke schaffen muss
- Die Unternehmen wie z.B. die DFGE, die andere Unternehmen hinsichtlich ihrer Klimastrategie berät und auf CO2-Reduzierungen und die Umsetzung eines Climate Action Plans einwirken muss
- Und die Verbraucher:innen, die Marketing-Botschaften hinterfragen und Fakten prüfen müssen.
Bildquelle Aldi Siegel für klimaneutrale Produkte: https://www.aldi-sued.de/de/nachhaltigkeit/klima-und-umwelt/klimaschutz/klimaneutrale-produkte.html